Da erfuhr man:
- Gasverbrauch reduzieren ginge kurzfristig, also für diesen Winter, nur auf zwei Arten
1. Heiztemperaturen senken und
2. industrielle Produktion zurückfahren. - Und der Winter 2023/2024 verspreche (durch Gasknappheit) noch schlimmer zu werden.
- Und wer wie viel bekommt, sich also wie viel leisten kann, das müsse der Preis entscheiden.
Warum das alles?
Da Russland einen „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ (was Kriege, die Staaten beginnen, immer sind) führt, müsse man den Aggressor ...a) bestrafen,
b) von seinen Geldquellen abschneiden, von den Einnahmen aus den Exporten von Kohle, Öl, Gas, Uran,
c) durch einen Handelskrieg zwingen, vielleicht irgendwann mit dem Krieg aufzuhören, wenn er keine Devisen mehr hat.
Oder sollte die Ruinierung der russischen Wirtschaft durch den Handelskrieg gar nicht ein Mittel für Frieden sein, sondern das imperialistische Ziel dieser Politik?
Dumm nur …
a) dass Russland jetzt ungefähr genauso viel einnimmt (oder sogar mehr) als in früheren Jahren: mit geringeren Exportmengen, aber in die Höhe getriebenen Preisen. Der Erdgaspreis betrug auf dem Weltmarkt- im Juli 2022 8,7 – 5,5 Dollar / MMBTU,
- 2010 – 2021 im Schnitt 3 Dollar.
Andere Rohstoffe verkauft Russland zu Schleuderpreisen.
b) dass Russland, der zweitgrösste Waffenexporteur der Welt, „keine Waffen vom Weltmarkt braucht. [Die Russen] produzieren sie selber. Also sogar wenn sie keine Energieträger mehr verkaufen und keine Dollars mehr einnehmen würden, können sie genauso viele Waffen produzieren wie mit hohen Exporterlösen.“ [4a]
c) dass zwar einige Länder wie Polen, Finnland und die baltischen Staaten ihre russischen Importe seit Kriegsbeginn reduziert haben, aber andere wie China, Indien und EU-Mitglied Frankreich ihre Einkäufe erhöhten und China (mit 12,6 Milliarden Euro in den ersten 100 Tagen des Kriegs), Deutschland (12,1 Mrd. €) und Italien (7,8 Mrd. €) nach wie vor die grössten Importeure russischer Energieträger sind.
d) dass durch einen Totalausfall russischer Gaslieferungen die deutsche Wirtschaftsleistung in den Wintermonaten um einen zweistelligen Prozentwert abstürzen könne, wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag warnt.
Die vom Bund bereitgestellten 15 Milliarden Euro könnten nicht ausreichen, um Gas einzukaufen, um die gesetzlichen Speicherziele für den Oktober und den November zu erreichen, warnt die Bundesnetzagentur. Und Gas-Grossimporteure wie Uniper werden wohl durch Staatshilfen, also letztlich von der Gesellschaft, gerettet werden.
Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit drohen hochzuschnellen, viele drohen weiter zu verarmen, der soziale Frieden, der heute noch so friedlich ist, wäre bedroht.
Möglicherweise schaden also die Handelsboykotte uns Bürgern mehr als dem russischen Aggressor. Daraus ziehen manche den merkwürdigen Schluss, die Bundesregierung sollte den Wirtschaftskrieg intensivieren und „sehr viel schärfere Massnahmen“ anordnen wie einen „Rückzug der westlichen Konzerne aus dem russischen Markt: keine Produktion mehr in Russland, kein Export mehr dorthin. Das dürfte die industrieschwache russische Wirtschaft stark treffen“.
Das ISW München schränkt aber selbst ein, dass das die russische Wirtschaft „auf Dauer als Juniorpartner und Rohstofflieferant an China binden“ würde. [4b]
Was folgt daraus?
Mit Waffenlieferungen und dem Handelsboykott wurde Deutschland Kriegspartei. Die Rhetorik ist klar: Scholz zeigt (ein bisschen) „Solidarität mit der Ukraine – so lange wie es notwendig ist.“Doch unklar ist das Kriegsziel, und wie „lange es(?) notwendig ist“, und welchen Menschen das nützt. Klar sind ansonsten nur zwei Sachen:
- dass Deutschland sich damit fest zur sogenannten „Wertegemeinschaft“ unter der Führung der USA bekennt
- und dass das bei uns vielen teuer zu stehen kommen wird.
Wenn es nur darum gehen würde, einen „Waffenstillstand jetzt“ zu erreichen, könnte man den gleichnamigen Appell ernsthaft diskutieren. Hier schlagen Augstein, Kluge, Precht, Welzer, Yogeshwar, Zeh u.v.a. vor:
„Der Westen muss sich nach Kräften bemühen, auf die Regierungen Russlands und der Ukraine einzuwirken, die Kampfhandlungen auszusetzen. Wirtschaftliche Sanktionen und militärische Unterstützung müssen in eine politische Strategie eingebunden werden, die auf schrittweise Deeskalation bis hin zum Erreichen einer Waffenruhe gerichtet ist.“
Ist das weltfremd? Auch nicht mehr als der sinnlose Handelsboykott.
Aber die politische Klasse ignoriert diesen Appell weitgehend oder lehnt ihn ohne Argumente ab:.„Grüne reagieren ungehalten auf [den] neuen offenen Brief deutscher Prominenter“. Der Grüne Co-Parteivorsitzender Omid Nouripour:
„Dieser Aufruf stammt von Menschen, die bequem auf der Couch sitzend, wohl angesichts der verstörenden Bilder aus der Ukraine die Geduld verloren haben.“
Doch „Wer Menschenleben schützen will, muss jetzt der Ukraine beistehen.“
Und „beistehen“ heisst sie kämpfen lassen, und „Dialog und Härte“ (Baerbock) gegenüber Russland und China zeigen. Doch das Problem so einer „werteorientierten Aussenpolitik besteht darin, dass sie im Endeffekt dialogunfähig ist, weil sie politische Interessengegensätze in die Sphäre der Moral verschiebt. Interessengegensätze sind prinzipiell lösbar. Moralische Gegensätze zwischen Gut und Böse sind es nicht.“
Dagegen ist ein „Waffenstillstand jetzt“ populärer, als in der veröffentlichten Meinung dargestellt: 35 % der Mitte Mai repräsentativ befragten Europäer:innen sind für einen schnellen Friedensschluss, auch wenn das Zugeständnisse der Ukraine voraussetzt. Am stärksten wird diese Forderung in Italien (52 Prozent) und Deutschland (49 Prozent) vertreten.
Wenn es im Winter in unseren Wohnungen kalt wird, kann man das Problem vielleicht mit der Methode Ceausescu lösen. So weit, so verfahren.